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Sabina Hörtner

„Farbe bekennen“ als Titel für (unter anderem) künstlerische Interventionen zu wählen, stellt alle Beteiligten natürlich unter einen gewissen Druck, sich zu positionieren. Bloß, was soll man sich – gerade im Bereich „bildender“ Kunst – darunter vorstellen, nach einem Jahrhundert voll von Tendenzen gerade auch sich radikalisierender künstlerischer Positionen, will man diese nun Avantgarde nennen oder nicht (mehr). Und was könnte man sich unter Radikalität einer Position vorstellen, nachdem alles zu einem Thema der Kunst geworden ist, nachdem Begriffe wie Autorenschaft, Materialität und Inhalt zielmlich dekonstruiert zurückgelassen wurden? „Farbe bekennen“ bedeutet in derart ausgefransten künstlerischen Diskursen zunächst und vor allem, sich in diesem unübersichtlichen Terrain zeitgenössischer Kunst zu positionieren, das sich zu allem Überfluss noch ständig mit historischen Positionen und Strategien auflädt. Robert Adrian hat (in ganz anderem Zusammenhang) 1989 geschrieben: „Es wird heute immer schwieriger, Kunst von allem anderen zu unterscheiden – das geht zur Zeit so weit, daß etwas, das wie Kunst aussieht, wahrscheinlich gar keine ist.“ Wenn damit nur annähernd zutreffend die schwierige Situation zeitgenössischer Kunst mit ihrer langen und konfliktreichen Geschichte an Überschreitungen, Entgrenzungen und permanenten Selbstauflösungstendenzen beschrieben ist, wird die Situation noch komplizierter. Wenn also eine Reihe wichtiger Parameter künstlerischer Produktion höchst fragile und unbestimmte Bezugspunkte geworden sind, gerät unweigerlich der je konkrete Produktionszusammenhang in den Mittelpunkt einer Untersuchung sowohl der Mittel als auch der Position einer künstlerischen Intervention. Was gesagt werden kann, wird von einem konkreten Subjekt an einem konkreten Ort aus gesagt.
Damit ergeben sich zumindest zwei Einschränkungen: sprechen wir von Anfang an nicht über „das Werk“ von Sabina Hörtner, obwohl sich sicherlich einige gleichbleibende grundsätzliche methodische Entscheidungen in den unterschiedlichsten Arbeiten auffinden lassen, doch die Methode allein sagt noch nichts über die möglichen Lösungsansätze aus. Und nehmen wir nicht die theoretische Sackgasse eines ästhetischen Formalismus, um uns einer bestimmten ihrer Inerventionen anzunähern. Die Abwesenheit von „Inhalt“, eines erkennbaren Gegenstandes, der kommentiert, kritisiert, persifliert oder wie immer verzeichnet dennoch erkennbar bleibt, die Abwesenheit eines solchen Gegenstandes sollte nicht vorweg dazu verleiten, die formalen Entscheidungen und erkennbaren ästhetischen Manifestationen als „Kern“ der Arbeit zu identifizieren.
Worüber sprechen wir also eigentlich? Zunächst über eine höchst reduzierte Intervention durch die Künstlerin, die den programmatischen Titel „Farbe bekennen“ sozusagen wörtlich nimmt: ein roter Suchscheinwerfer tastet einen Raum mittels eines Zufallsprogramms ab; der Lichtkreis taste alle Winkel des Raumes in nicht vorhersehbaren Bewegungen ab. Der Raum, um den es dabei geht, ist allerdings kein Galerieraum, sondern einer der Veranstaltungsräume von K.U.L.M., der also während der Periode der „Installation“, wenn man sie denn also solche bezeichnen möchte, unterschiedlichsten Nutzungen unterliegt.
Man kann also durchaus davon sprechen, dass durch diese minimale Intervention bereits so etwas wie konfligierende Raumnutzungen etabliert werden. Doch ab diesem Zeitpunkt sind wir längst nicht mehr nur bei physischen Räumen und ihren ästhetischen Dimensionen, wir befinden uns bereits dabei, Räume als kulturelle Gefüge zu beschreiben, als räumliche Konstellationen, die erst durch ihre kulturelle Besetzungen ihre Bedeutung erhalten. Und wir sind dabei, diese Räume und Orte als Schnittstellen vieler Räume und Orte zu beschreiben, die untereinander verbunden aber dennoch unterschieden sind; sie bilden zusammen ein System von Praktiken, in die sich die Arbeit von Sabina Hörtner einklinkt. Kunst erscheint dabei als eine Form kultureller Produktion unter anderen und verliert ihren Nimbus wie ihre Exklusivität (womit bereits eine erste und wichtige Positionierung getroffen wird: Kunst erscheint dabei nicht als etwas, das sozusagen kommt und wieder geht, sondern allein in dieser Form des Sich-Einklinkens für eine bestimmte Zeit besteht). Wenn sich in dieser Arbeit ganz präzise die methodische Grundlage der Intervention selbst in Szene setzt – eine Verschiebung in der möglichen Besetzung und Definition des Raumes -, dann erscheint es evident, den Raum, auf den sich die Arbeit eigentlich bezieht, als diskursiven Raum zu verstehen, als einen Ort, der nicht nur zur Voraussetzung genommen wird, sondern durch die künstlerische Intervention – auf Zeit – mitproduziert wird. „In diesem Sinne können heute verschiedene kulturelle Debatten, ein theoretisches Konzept, ein gesellschaftliches Thema, ein politisches Problem, ein institutioneller Zusammenhang (…), ein historischer Zustand, ja sogar bestimmte Formen des Begehrens in ihrer Funktion als Orte betrachtet werden.“ (Miwon Kwon)
In älteren Arbeiten hat Sabina Hörtner in verschiedenste Raumsituationen mithilfe von komplexen Strukturen, die sie durch Klebebänder hergestellt hat, interveniert; im vorliegenden Fall ist Licht das „Material“ der Intervention. Dabei signalisiert die Wahl dieser Mittel (industrielle bzw. alltagskulturelle Gebrauchsgegenstände wie Klebebänder und Marker) und die Entscheidungen über die Methodik der Interventionen (appliziert und temporär), dass diese formalen Entscheidungen quasi als Vehikel für einen Lesevorgang fungieren, der immer auch das Nicht-Gestaltete, sozusagen das Andere der Kunst, miteinschliesst. Mit dem Projekt für „Farbe bekennen“ wird dies geradezu metaphorisch in Szene gesetzt: der Lichtkegel, der den in seiner Form und seinem Aussehen belassenen Raum abtastet (und alle Personen, die sich durch diesen Raum bewegen). Dieses Andere der Kunst sind aber gerade jenen kulturellen Gefüge, von denen schon die Rede war. Sabina Hörtner füllt den konkreten Raum nicht, sie unterwirft sich diesen Raum nicht; er bleibt großteils, wie er ist und wird dennoch zu einem von ihr mitproduzierter Raum.
Selbstverständlich sind alle diese Arbeiten formal lesbar; sie darauf zu beschränken hiesse aber gleichzeit, Raumprobleme, Debatten um den Raum und den Ort bzw. die ständige Verschiebung deren Funktionsweisen im Rahmen kultureller Prozesse und Austauschvorgänge auf Fragen der visuellen Wahrnehmung zu reduzieren. Man sollte sich also keine Hoffnungen darüber machen, in der Wahrnehmung der Arbeit und im Denken darüber dem Raum, der Oberfläche und dem Ort als diskursive Phänomene zu entkommen. Die „Inhalte“, wenn man diese Kategorie nicht vollständig fallen lassen will (wofür auch einiges spricht) sind also immer schon da, und wir sind ein Teil davon. Darüber sollten wir uns im klaren sein, wenn uns der rote Lichtkegel in den Rücken fällt wie eine Markierung. Und in Zeiten, in denen davon gesprochen wird, ein ganzes Land durch Fingerabdrücke identifizierbar zu machen, liessen sich eine Reihe weiterer Überlegungen darüber anstellen, welche inhaltlichen Hintergründe diese Abtastung des Raumes noch haben könnte …